Das Christkind kommt nur, wenn du lieb bist!
Bindung: unsere emotionale Nabelschnur
• Bindung

Gundula Göbel ist Kinder- und Jugendlichen Psychotherapeutin, Familientherapeutin und EMDR-Traumatherapeutin. Sie betreibt eine eigene Praxis und blickt auf über 25 Jahre therapeutische Erfahrungen zurück. In einem Interview haben wir über ein zentrales Thema ihrer Arbeit gesprochen: die Eltern-Kind-Bindung.
Liebe Gundula, in deiner therapeutischen Praxis ist die Eltern-Kind-Bindung ein wichtiges Thema. Was ist Bindung?
Bindung wird gerne nach Bowlby als emotionales Band über Raum und Zeit beschrieben. Ich nenne sie emotionale Nabelschnur. Sie ist eine angeborene, emotionale Verbundenheit der Eltern mit ihrem Kind.
Meine Mutter sprach nach der Geburt meiner ersten Tochter von der „unsichtbaren Nabelschnur“. Sie sagte, die Nabelschnur sei nach der Geburt noch immer da, unsichtbar und wie eine Art Gummiband, dass sich nach und nach dehnt.
Ja. Das ist ein schönes Bild. Es braucht viel Vertrauen, dass sich dieses Gummiband dehnen kann. Wenn wir im Allgemeinen von Bindung sprechen, meinen wir ja immer die sichere Bindung. Mir gefällt „verlässliche Bindung“ besser, denn es geht hier um eine Gegenseitigkeit, um ein Miteinander. In meiner praktischen Arbeit verwende ich häufig ein Springseil, um dies zu veranschaulichen. Ich halte ein Ende fest, das andere Ende hält der Elternteil. Ziehe ich an dem Seil, folgt unweigerlich eine Reaktion des Elternteils am anderen Ende des Seiles. Je kleiner das Kind ist, desto mehr reagieren sie auf unsere Reaktion. Kinder haben sehr feine Antennen und nehmen auch ganz genau wahr, wie es uns geht. Es geht darum, gemeinsame verlässliche Bindungserfahrungen zu gestalten.
Dafür brauchen Eltern Halt, um selbst verlässlich zu sein. Eltern brauchen die stärkende Hand im Rücken. Bekommt die Mutter Halt, kann sie auch ihrem Baby Halt geben. Eltern brauchen Fürsorge und Halt gebende Menschen um sich herum, ganz besonders nach der Geburt. Das gilt für Ärzte und Hebammen genauso wie für Trageberaterinnen.
Schwangerschaft und Geburt sind ja immer eine sehr prägende Zeit, ganz gleich, wie selbstbestimmt und komplikationslos beide verlaufen. Sie prägen uns enorm und so richtig können wir uns auf das Leben mit Baby nicht vorbereiten.
Absolut. Eltern mit noch ganz jungem Baby sind durch die Geburt ganz offen. So offen wie wahrscheinlich in keiner anderen Lebensphase. Jedes Wort wirkt ganz intensiv – positive genauso wie negative. Wörter und Sätze, die unter der Geburt fallen, prägen sich mit einer enormen Intensität ein. Eine traumatische Geburt erschwert das Bonding, d.h. die innige, liebevolle und achtsame Beziehung zum Kind.
Viele Frauen haben das Bedürfnis über ihre Geburt zu sprechen. Das ist wichtig, weil sie damit das Erlebte verarbeiten. Was sie brauchen ist jemand, der ihnen zuhört, der ihnen eine warme Hand auf den Rücken oder die Schulter legt und ihnen erlaubt, die unterschiedlichsten Gefühle zu haben.
Es heißt, die prä- und perinatalen Erfahrungen prägen uns enorm. Nun startet nicht jede Familie stolperfrei ins Leben mit dem Baby. Belastende Geburtserfahrungen, emotionale Talfahrten im Wochenbett. Wie geht man mit solchen Widrigkeiten um, die die ersten Bindungserfahrungen erschweren? Kann man das „aufholen“? Wann ist es zu spät?
Eine verlässliche Bindung braucht jeden Tag emotionale Nahrung. Die moderne Bindungsforschung und die Entwicklungspsychologie zeigen, dass die ersten drei Lebensjahre zwar prägend sind, dass aber auch danach noch Veränderung möglich ist. Bis ins junge Erwachsenenalter hinein, können wir in der Therapie an frühen Erfahrungen arbeiten und Änderungen bewirken. Bindung ist nie abgeschlossen.
In meiner therapeutischen Arbeit stelle ich immer wieder fest, mit welch enormer Verunsicherung und welchem Druck von außen viele Eltern konfrontiert sind. Sie suchen in einer Vielzahl von Ratgebern, nach dem „richtigen“ Weg, bekommen von allen Seiten Tipps und Ratschläge. Sie verlieren dabei ihr Urvertrauen. Als Therapeuten sind wir Bindungsvorbilder und helfen ihnen eine verlässliche Bindung zu pflegen.
Nun gibt es immer gute und schlechte Tage. Sie sagen, es braucht jeden Tag emotionale Nahrung. Wenn ich an einem Tag weniger breitstelle, kann ich das am nächsten Tag ausgleichen?
Viele Eltern sehen gar nicht, was sie täglich an emotionaler Nahrung bieten. Ich lade Eltern gerne ein, dies in Form einer Sonne zu visualisieren und sich zu fragen: Was ist emotionale Nahrung die ich geben kann. Es ist nicht nur das Kuscheln. Es ist nicht alleine das intensive miteinander spielen. Es ist ein liebevolles Anlächeln, Blickkontakt beim Sprechen, Zuhören ohne zu bewerten. Die Stimme dient auch als emotionale Nahrung. Müssen Eltern am PC arbeiten, können sie mit zärtlicher Stimme zu ihrem Kind sprechen oder ein Lied singen. Es geht darum Kinder die Feinfühligkeit spüren zu lassen.
Über den Autor

Anna ist Mutter von drei Kindern und leidenschaftliche Trageberaterin. Aus Erfahrung weiß sie, wie entlastend das Tragen für das Familienleben und ihren Körper ist. Ihre Vision: Jedes Kind und jede Familie soll von den Vorteilen des Tragens profitieren!